Social Media, Podcasts und neue Formate

Die politische Kommunikation in Deutschland hat sich in den letzten 5 bis 10 Jahren grundlegend verändert. Digitale Kanäle – allen voran Social Media, Podcasts und neue Medienformate – sind zu festen Bestandteilen der öffentlichen Debatte geworden. Politikerinnen, Parteien und Behörden nutzen vermehrt diese Plattformen, um Bürgerinnen direkt zu erreichen. Erstmals gaben 2022 sogar mehr Deutsche an, Nachrichten hauptsächlich online zu beziehen statt über das Fernsehen​.

Ich analysiere hier, wie Social Media, Podcasts und neue Formate die politische Kommunikation verändert haben, welche Einflüsse aus den USA dabei eine Rolle spielen und wie sich all das auf die politische Meinungsbildung auswirkt. Aufbauend auf dieser Analyse werden praxisnahe Handlungsempfehlungen für Verwaltungen, Journalist*innen und politische Akteure formuliert.

Chancen und Herausforderungen der Bürgerkommunikation werden gleichermaßen beleuchtet, um Wege aufzuzeigen, wie öffentliche Verwaltung, Behörden, Ministerien und Parteien ihre Kommunikation zukunftsfähig gestalten können. Abschließend wird diskutiert, welche Anpassungen in der Medienberichterstattungnotwendig sind, um die Demokratie zu schützen und Desinformation entgegenzuwirken.

Neue Medien in der politischen Kommunikation

Social Media als neuer Standardkanal

Soziale Medien haben sich vom Experimentierfeld zum Standardinstrument der politischen Kommunikation entwickelt. In Deutschland erreichen Plattformen wie YouTube, Facebook, Instagram und Twitter heute Millionen Bürgerinnen direkt und ungefiltert. Allein 2023 nutzten 16 % der Deutschen YouTube, 14 % Facebook, 8 % Instagram und 5 % Twitter regelmäßig als Quellen politischer Informationen​. Dieser direkte Zugang verändert das klassische Kommunikationsdreieck aus Massenmedien, Politik und Bürgerinnen. Politiker*innen und staatliche Stellen können nun ohne den Umweg über die Presse ein Massenpublikum ansprechen​. Dadurch entsteht ein hybrides Mediensystem, in dem soziale Medien und traditionelle Medien ineinandergreifen: Journalisten berichten oft über Themen, die zuerst in sozialen Netzwerken hochkochen, während umgekehrt virale Posts sich auf Artikel etablierter Medien beziehen​.

Ein zentraler Vorteil von Social Media ist die Möglichkeit zum direkten Dialog. Bürger*innen können über Kommentare und Nachrichten unmittelbar Feedback geben oder Fragen stellen. Institutionen wie die Bundesregierung haben das früh erkannt – sie betreibt seit 2007 einen eigenen YouTube-Kanal und seit 2015 eine Facebook-Seite. Heute unterhalten nahezu alle Ministerien und viele Behörden offizielle Social-Media-Profile​. Dies erlaubt es der öffentlichen Hand, neben der Top-Down-Informationsvermittlung auch einen Rückkanal zu etablieren und ansprechbar zu sein​. Ein Beispiel ist die Polizeiarbeit: In der Krisenkommunikation reagieren Polizei-Social-Media-Teams aktiv auf Rückmeldungen aus der Bevölkerung, was die Behörden nahbarer macht​ (bpb.de).

Doch die Nutzung sozialer Medien variiert je nach Zielgruppe stark. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2023 verwenden 60 % aller Deutschen ab 14 Jahren mindestens wöchentlich Social Media – und selbst bei den über 50-Jährigen ist jeder Zweite regelmäßig auf sozialen Plattformen aktiv​. Junge Menschen sind nahezu vollständig online erreichbar: Mehr als die Hälfte der Erstwählerinnen nutzt TikTok, und fast alle unter 25 sind auf Instagram zu finden​. Ältere Zielgruppen tummeln sich hingegen eher auf Facebook, das bei über 30-Jährigen nach wie vor am meistgenutzten Netzwerk ist​. Auffällig ist auch, dass Twitter/X – trotz seiner hohen Sichtbarkeit in politischen Diskussionen – nur von 7 % der Deutschen wöchentlich aktiv genutzt wird​. Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass sich hierüber Multiplikatoren erreichen lassen: Viele Journalistinnen und Meinungsbildner beobachten die Debatten auf Twitter intensiv, sodass es indirekt die öffentliche Agenda beeinflussen kann​.

„Videoboom“ in sozialen Medien: Insbesondere junge Nutzer konsumieren vermehrt Video-Inhalte auf Plattformen wie Instagram und TikTok. Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2023 zeigt, dass 23 % aller Deutschen – und weit über 40 % der Unter-30-Jährigen – täglich Videos in sozialen Netzwerken ansehen​. Ältere Nutzergruppen lesen dagegen häufiger Artikel oder klassische Posts im Feed​. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie neue Formate (v.a. Kurzvideos) das Nutzerverhalten prägen und politische Akteure zwingen, ihre Kommunikation anzupassen – etwa durch prägnante Video-Statements oder visualisierte Botschaften. (ard-media.de)

Podcasts und neue Medienformate

Neben den klassischen Social-Media-Plattformen haben sich Podcasts und andere digitale Formate als fester Bestandteil politischer Kommunikation etabliert. Podcasts ermöglichen es, politische Inhalte abweichend vom Schnellfeuer-Rhythmus der sozialen Netzwerke zu vermitteln – in längeren, vertieften Gesprächen oder Monologen. In Deutschland erlebt das Medium seit einigen Jahren einen Boom: Knapp 40 % der Bevölkerung haben bereits Podcasts gehört, und gut ein Viertel hört zumindest monatlich aktiv zu​ (ard-media.de).

Zahlreiche Nachrichtenredaktionen und politische Institutionen haben eigene Podcast-Formate gestartet. Beispiele sind der Politik-Podcast des Deutschlandfunks oder regierungsnahe Angebote wie „Aus Regierungskreisen“, in denen aktuelle Themen diskutiert werden. Auch Journalistinnen wie Moderatorin Anne Will oder der ehemalige Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart haben mit wöchentlichen Podcasts neue Kanäle gefunden, um politische Analysen einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Für politische Akteure bieten Podcasts die Chance, Hintergrundwissen und Positionen ausführlicher darzustellen, als es in einer Talkshow oder einem Tweet möglich wäre. So erreichen sie interessierte Bürgerinnen in Situationen, in denen klassische Medien kaum präsent sind – etwa beim Pendeln, Sport oder Haushalt.

Neben Podcasts sind auch innovative Formate wie YouTube-Videos, Live-Streams und Instagram-Stories Teil des neuen Kommunikationsmix. Parteien und Politiker experimentieren mit kurzweiligen Clips, Info-Grafiken und interaktiven Formaten, um vor allem jüngere Menschen anzusprechen. Prominent wurde dies 2019 durch ein YouTube-Video von Rezo, einem deutschen Influencer, das mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ millionenfach aufgerufen wurde und die politische Debatte vor der Europawahl erheblich beeinflusst hat.

Zwar handelt es sich hierbei nicht um ein von einer Partei initiiertes Format, doch es demonstrierte eindrücklich die Macht neuer Medienformen: Authentisches Auftreten und verständliche Aufbereitung können enorme Reichweite erzeugen, ohne auf traditionelle Medien angewiesen zu sein. Inzwischen reagieren Parteien darauf, indem sie z.B. mit bekannten YouTubern und Instagram-Influencern kooperieren oder eigene formelle wie informelle Formate für Social Media entwickeln. Influencer-Marketing ist „in die politische Kommunikation eingezogen“​ – etwa in Form von gemeinsamen Live-Chats zwischen Politiker*innen und Online-Stars oder der Einbindung populärer Netzpersönlichkeiten in Wahlkampfkampagnen.

Messaging-Dienste und Chat-Plattformen sind ein weiterer neuer Kanal: Über WhatsApp-Newsletter oder Telegram-Kanäle verbreiten Parteien und Behörden Informationen direkt aufs Smartphone der Bürger*innen. Diese Formate ähneln zwar klassischen Newslettern, zeichnen sich aber durch schnelle Verbreitung und ggf. virale Weiterleitung aus. Allerdings bergen sie auch Risiken der Echokammer (in geschlossenen Gruppen) und der fehlenden öffentlichen Kontrolle.

Einflüsse aus den USA auf die deutsche Kommunikation

Viele Trends der digitalen politischen Kommunikation schwappen aus den USA nach Deutschland herüber. Bereits Barack Obamas Wahlkampf 2008 gilt als Wendepunkt, der gezeigt hat, welches Potenzial im Online- und Social-Media-Wahlkampf steckt. Die intensive Nutzung von Facebook zur Wählermobilisierung und der gezielte Einsatz von Microtargeting wurden damals erstmals in großem Stil demonstriert​. In der Folge haben auch deutsche Parteien solche Elemente übernommen – ein Prozess, der oft als „Amerikanisierung“der Wahlkämpfe bezeichnet wird​.

Tatsächlich hielt Microtargeting in den letzten Jahren Einzug in deutsche Wahlkämpfe​. Parteien segmentieren die Wählerschaft nach soziodemografischen Merkmalen, Interessen oder Regionen, um Botschaften passgenau zuzustellen​. Dieses Vorgehen wurde insbesondere nach der US-Präsidentschaftswahl 2016 kritisch diskutiert, als bekannt wurde, dass über „Dark Ads“ unterschiedliche und teils widersprüchliche Wahlversprechen an verschiedene Zielgruppen ausgespielt wurden​. Inzwischen gibt es Gegenmaßnahmen wie die Ad-Library von Meta, die mehr Transparenz über geschaltete politische Anzeigen schafft​. Europäische Akteure – Parteien ebenso wie Medienhäuser – nutzen inzwischen solche Methoden, haben aber zugleich begonnen, Regeln für Transparenz und Datenschutz einzufordern.

Ein anderer gewichtiger Einfluss war die Social-Media-Präsidentschaft von Donald Trump. Seine polarisierende Kommunikation via Twitter und Facebook zeigte global, wie soziale Netzwerke für die politische Agenda-Setting genutzt werden können – aber auch, wie Desinformation und Hetze sich verbreiten. Deutsche Rechtsaußen-Parteien und Populist*innen haben sich manches von Trumps Strategie abgeschaut, etwa den direkten Angriff auf etablierte Medien als „Fake News“ oder die Mobilisierung einer Online-Anhängerschaft durch provokative Aussagen. Phänomene wie QAnonkamen ursprünglich aus den USA, fanden aber spätestens während der Corona-Pandemie auch in Deutschland erheblichen Zulauf über soziale Medien​. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet, dass gerade auf Telegram und YouTube Verschwörungsmythen aus den USA importiert und in deutsche Kontexte übertragen werden​. So bietet das Internet eine transnationale Verbreitungsstruktur für politische Narrative – im Guten wie im Schlechten.

Auch positive Impulse kamen aus den USA: Neue Formen der Bürgeransprache wie Townhall-Meetings oder der charismatische, persönlichere Kommunikationsstil mancher US-Politiker haben deutsche Amtsinhaber inspiriert. Man denke an Politikerinnen, die sich wie Alexandria Ocasio-Cortez in den USA via Instagram-Live bei der Zubereitung des Abendessens mit den Bürgern unterhalten – solche authentischen Formate werden nun teilweise von jungen deutschen Abgeordneten übernommen, um nahbar zu wirken. Darüber hinaus haben globale Bewegungen wie #MeToo oder BlackLivesMatter über soziale Medien auch die politische Kommunikation in Deutschland beeinflusst: Politikerinnen mussten auf diese durch Social Media getragenen Diskurse reagieren und taten dies häufig ebenfalls online, um Haltung zu zeigen und Debatten aufzugreifen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die USA als Trendsetter der digitalen Kampagnenführung dienen. Deutsche Akteure adaptieren ausgewählte Elemente – jedoch stets vor dem Hintergrund des eigenen Medien- und Rechtsrahmens. So ist beispielsweise der Ton hierzulande (noch) sachlicher und weniger personalisiert als in vielen US-Kampagnen, und gesetzliche Schranken (z.B. strengere Datenschutzbestimmungen wie die DSGVO) verhindern einige Exzesse, die in den USA möglich waren. Nichtsdestotrotz: Der Wettbewerbsdruck, gerade junge Wähler online zu erreichen, sowie die Gewalt an Informationen, die auf Plattformen zirkuliert, wurden durch US-Entwicklungen erheblich beschleunigt.

Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung

Die beschriebenen Entwicklungen haben deutliche Auswirkungen darauf, wie Bürgerinnen und Bürger sich eine politische Meinung bilden. Einerseits ermöglicht die digitale Kommunikation vielfältigere Informationsquellen und eine breitere Partizipation; andererseits birgt sie Risiken wie Fragmentierung und Desinformation.

Ein positiver Aspekt ist die Demokratisierung der Öffentlichkeit: Über soziale Medien können auch kleinere Parteien oder Außenseiter-Politiker*innen Aufmerksamkeit erzielen, ohne große Budgets oder etablierten Presse-Einfluss​. So bieten digitale Kanäle die Chance, neue Stimmen hörbar zu machen – was ein Gewinn sein kann, wenn z.B. berechtigte Anliegen bisher unterrepräsentierter Gruppen Gehör finden​.

Die Kehrseite ist, dass auch extremistische oder antidemokratische Akteure leichter eine Bühne finden. Wissenschaftler weisen darauf hin, dass sich in sozialen Netzwerken Parallel-Öffentlichkeiten bilden können​: sogenannte „Alternativmedien“ verbreiten tendenziöse Inhalte abseits journalistischer Standards. Portale wie Compactoder Epoch Times beispielsweise bezeichnen sich selbst als Gegenentwurf zum „Mainstream“ und erreichen über Facebook, YouTube & Co. ein beträchtliches Publikum​. Ihre Narrative werden von Qualitätsmedien meist ignoriert oder widerlegt, finden aber in ihren Online-Communities großen Anklang. Dadurch entstehen blasenartige Diskussionsräume, in denen sich Gleichgesinnte gegenseitig bestärken und Fakten ausblenden – was die Polarisierung an den Rändern verstärkt​.

Viel diskutiert wurde in diesem Zusammenhang das Konzept der Filterblase. Die Sorge: Personalisierte Algorithmen zeigen Nutzern nur noch das, was sie ohnehin interessiert, und schirmen andere Sichtweisen ab. Empirisch zeigt sich jedoch ein gemischtes Bild. Studien legen nahe, dass Deutsche sich in der Regel aus verschiedenen Quellen informieren und traditionelle Nachrichtenangebote online dominieren​. Zudem interagieren Menschen in sozialen Medien nicht ausschließlich mit Gleichgesinnten.

Auf Plattformen wie Twitter kommt es durchaus zu Meinungsaustausch über Lager hinweg, teils in heftigen Debatten​. Das heißt, absolute Isolation in einer Filterblase ist eher die Ausnahme​. Allerdings existieren Bestätigungstendenzen: Viele neigen dazu, vor allem Beiträge zu liken oder zu teilen, die die eigene Ansicht stützen (Confirmation Bias). So entstehen Echoräume, in denen extreme Positionen lauter erscheinen, als sie gesamtgesellschaftlich sind​.

Technisch begünstigt wird dies durch Empfehlungsalgorithmen, die Aufmerksamkeit maximieren wollen – provokanter oder emotionalisierender Content erhält mehr Interaktionen und wird folglich weiteren Nutzern angezeigt​. Dadurch kann der Eindruck verstärkt werden, die Gesellschaft bestehe nur noch aus polaren Extremen, obwohl in der Offline-Welt weiterhin viele Zwischentöne existieren.

Ein enormes Problem für die Meinungsbildung ist die Verbreitung von Desinformation. Soziale Netzwerke bieten eine ideale Infrastruktur, um gezielt Falschinformationen zu streuen​. Im Vergleich zu klassischen Medien fehlt oft die redaktionelle Kontrolle – jeder kann potenziell zum Sender werden. Das haben sowohl in- als auch ausländische Akteure erkannt: Sei es zur Beeinflussung von Wahlen, zur Unterminierung des Vertrauens in Institutionen oder aus finanziellen Motiven (Stichwort Klickbait-“News”).

Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung ergab, dass 81 % der Deutschen vorsätzlich online verbreitete Falschinformationen als Gefahr für die Demokratie betrachten​. Über 90 % sind überzeugt, dass Desinformationskampagnen vor allem das Ziel haben, politische Meinungen zu beeinflussen​. Tatsächlich nennen knapp 60 % der Bürger die großen Social-Media-Plattformen als Hauptquelle, wo ihnen Fake News begegnen, deutlich vor Kommentaren auf Nachrichtenseiten oder Messenger-Diensten​. Desinformation trübt somit die Meinungsbildung, indem sie Zweifel sät, falsche „Tatsachen“ etabliert und oft gezielt Emotionalisierung oder Empörung hervorruft.

All diese Faktoren beeinflussen das Verhalten der Wählerinnen und Wähler. Die Bindung an Volksparteien hat abgenommen, Wechselwähler entscheiden sich häufiger erst spät​ – was auch damit zusammenhängen könnte, dass sie durch die ständige Informationsflut online bis zuletzt neue Eindrücke gewinnen (oder verunsichert werden). Gleichzeitig ermöglichen soziale Medien eine schnelle Mobilisierung: Bewegungen können quasi über Nacht große Dynamik entfalten (#Unteilbar, #FridaysForFuture). Diese Spontanität geht jedoch manchmal zulasten der langfristigen Meinungsstabilität. Positionen werden online oft in Zuspitzung oder Schlagworten konsumiert; tiefere Auseinandersetzung findet eher in Nischen oder speziellen Formaten (wie Podcasts) statt.

Die Herausforderung besteht darin, aus der Menge an Stimmen und Informationen jene herauszufiltern, denen man Vertrauen schenkt. Hier haben traditionell Medien eine Gatekeeper-Rolle gespielt – die nun abgeschwächt ist. Viele Menschen stehen vor der Aufgabe, sich Medienkompetenz selbst anzueignen, indem sie Quellen prüfen, Fakten verifizieren und versuchen, Gegenperspektiven bewusst wahrzunehmen, um ein vollständigeres Bild zu erhalten.

Chancen und Herausforderungen der neuen Kommunikationslandschaft

Wie die Analyse zeigt, bietet der digitale Wandel der politischen Kommunikation sowohl erhebliche Chancen als auch Herausforderungen:

  • Chancen:
    Politische Akteure können heute direkt mit Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren, ohne stets auf Vermittlung durch Journalisten angewiesen zu sein. Dadurch lassen sich Informationen schneller verbreiten und ggf. Fehldarstellungen korrigieren. Besonders jüngere Zielgruppen, die über klassische Kanäle schwer erreichbar sind, können via Instagram, TikTok & Co. angesprochen und für Politik interessiert werden.

    Zudem fördern neue Formate wie Podcasts oder Live-Chats die Dialogorientierung – Politiker*innen treten persönlicher auf, beantworten Fragen aus der Bevölkerung direkt und können so Vertrauen aufbauen.

    Auch für die Bürgerkommunikation der Verwaltungen ergeben sich Chancen: Ämter und Behörden können mit Bürgerservice in sozialen Medien (z.B. FAQ-Videos, Twitter-Bürgersprechstunden) transparenter und bürgernäher agieren. Insgesamt wird das Spektrum an Themen und Stimmen breiter; Nischeninteressen oder Graswurzelbewegungen finden Gehör, was demokratietheoretisch die Teilhabe erhöht.

  • Herausforderungen:
    Gleichzeitig ist die Kommunikation schnelllebiger und anfälliger für Entgleisungengeworden. Die direkte Öffentlichkeit bedeutet, dass Fehler oder unbedachte Äußerungen von Politikern sofort große Wellen schlagen können (Shitstorms). Die Notwendigkeit, rund um die Uhr auf verschiedenen Kanälen präsent zu sein, kann zu Überlastung und Konzentration auf Oberflächlichkeiten führen, weil komplexe Sachverhalte schwer in 280 Zeichen darstellbar sind.

    Hasskommentare und Hetze sind ein tägliches Problem – besonders wenn kontroverse Themen wie Migration diskutiert werden, sehen sich Betreiber von Regierungsseiten teils mit einer Flut entmenschlichender oder gewaltverherrlichender Beiträge konfrontiert​. Das erfordert intensives Moderations- und Community-Management, um die Diskussionskultur zivil zu halten. Hinzu kommen rechtliche Unsicherheiten, etwa beim Datenschutz: Dürfen Behörden Facebook-Seiten betreiben, wo doch Nutzerdaten an US-Server fließen? Trotz DSGVO sind hier noch nicht alle Fragen geklärt​.

    Ein weiterer Balanceakt besteht darin, Aufmerksamkeit zu gewinnen, ohne in Populismus abzugleiten. Algorithmen bevorzugen Zuspitzung; wer Gehör finden will, steht in Versuchung, immer drastischere Formulierungen zu wählen – was der sachlichen Debatte schadet. Schließlich sind traditionelle Medien als Korrektiv zwar nicht verschwunden, aber ihr Gewicht ist relativ gesunken. Das bedeutet, dass Desinformation oder halbgare Geschichten zumindest kurzfristig größeren Schaden anrichten können, bevor sie korrigiert werden. Die Demokratie steht vor der Aufgabe, Meinungsfreiheit im Netz zu gewährleisten und gleichzeitig die Bürger vor gezielter Manipulation zu schützen.

Angesichts dieser Gemengelage gilt es, Strategien zu entwickeln, um die Chancen zu nutzen und den Herausforderungen konstruktiv zu begegnen. Im Folgenden werden konkrete Handlungsempfehlungen für die zentralen Akteursgruppen skizziert.

Handlungsempfehlungen

Für öffentliche Verwaltung und Behörden

  • Proaktive Präsenz auf relevanten Kanälen:
    Behörden und Ministerien sollten die Plattformen nutzen, auf denen sich ihre Zielgruppen informieren. Ein gut gepflegter Twitter- oder Mastodon-Kanal für aktuelle Bekanntmachungen, ein Instagram-Account mit Einblicken in Projekte oder ein WhatsApp/Telegram-Broadcast für Bürgerinfos können den Draht zur Bevölkerung stärken. Wichtig ist, Inhalte plattformgerecht aufzubereiten (z.B. kurze verständliche Texte mit Grafiken für Facebook, knappe Clips für TikTok).

  • Dialog und Bürgernähe fördern:
    Soziale Medien sind keine Einbahnstraße. Verwaltungen sollten Möglichkeiten schaffen, auf Bürgeranfragen und Kommentare zeitnah zu reagieren – etwa durch dedizierte Social-Media-Teams oder Online-Bürgersprechstunden. Ein Beispiel guter Praxis ist die Polizei, die via Twitter auf Bürgerfragen eingeht und so in Krisensituationen Vertrauen aufbaut​. Behörden können ähnlich Sprechstunden oder Q&A-Formate durchführen, um Bürgerbeteiligung zu ermöglichen.

  • Community-Management und Moderation:
    Um die genannten Chancen zu nutzen, müssen Verwaltungen auch in ausreichendes Moderationspersonal investieren. Sachliche Fragen sollten beantwortet und Diskussionen betreut werden. Gleichzeitig ist konsequentes Vorgehen gegen Hass und Troll-Kommentare nötig – etwa durch klar kommunizierte Netiquette und das Löschen von beleidigenden/hetzerischen Beiträgen​. So bleibt der Kommunikationsraum konstruktiv und inklusiv. Behörden sollten Mitarbeiter schulen, wie sie mit Kritik und Emotionen im Netz umgehen, ohne defensiv zu wirken.

  • Transparenz und Vertrauen:
    Öffentliche Stellen sollten online besonders transparent agieren, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Das heißt z.B., Quellen und Daten offenlegen, Entscheidungswege erläutern und Fehler eingestehen, falls sie passieren. Bürger schätzen es, wenn z.B. ein Ministerium bei komplexen Vorhaben in einem Thread oder Podcast erläutert, was die Hintergründe sind, statt nur PR-Slogans zu posten. Diese Offenheit wirkt dem Vorwurf entgegen, im Netz nur „Hochglanz-Propaganda“ zu betreiben.

  • Innovative Formate nutzen:
    Verwaltungen können experimentierfreudig sein, um auch junge oder schwer erreichbare Bürgergruppen einzubinden. Beispiele: interaktive Stories (z.B. ein Tag im Leben eines/r Mitarbeiters/in im Ministerium), Live-Übertragungen von Bürgerdialogen, Erklärvideos zu neuen Gesetzen. Wichtig dabei: Barrierefreiheit beachten (Untertitel, einfache Sprache) und die Inhalte dort platzieren, wo die Zielgruppe aktiv ist (vielleicht ein Auftritt im beliebten YouTube-Format MrWissen2Go anstatt nur in der Bundespressekonferenz).

  • Krisenkommunikation vorbereiten:
    Gerade Verwaltungen und Behörden müssen für Krisen (Pandemien, Naturkatastrophen, Sicherheit) gewappnet sein. Ein etabliertes Social-Media-Konzept ermöglicht im Ernstfall schnelle, verlässliche Informationen direkt an die Bevölkerung – ohne Gerüchteküche. Hier zahlt es sich aus, wenn die Kanäle vorher schon vertrauensvolle Beziehungen aufgebaut haben. Übungsszenarien für digitale Krisenkommunikation (ähnlich Alarmübungen) können helfen, im Fall der Fälle effektiv zu handeln.

Für Journalist*innen und Medien

  • Faktenprüfung als fester Bestandteil:
    Angesichts der Flut an Behauptungen in sozialen Medien müssen Redaktionen aktiv gegen Desinformation arbeiten. Faktenchecker-Teams sollten integraler Bestandteil jeder größeren Redaktion sein, um virale Gerüchte schnell zu verifizieren oder zu widerlegen. Deutsche Medien haben hier bereits Vorbilder geschaffen – etwa der BR-Faktenfuchs und die Tagesschau Faktenfinder, die strittige Online-Thesen prüfen​. Solche Initiativen gilt es auszubauen und ihre Ergebnisse prominent zu präsentieren, damit Falschmeldungen gar nicht erst lange nachwirken.

  • Angepasste Darstellungsformen:
    Medienhäuser sollten ihre Inhalte so aufbereiten, dass sie auch in neuen Formaten attraktiv und verständlich sind, ohne an journalistischer Qualität einzubüßen. Beispielsweise können komplexe Themen in Erklärvideos oder Infografiken zusammengefasst werden, die über Instagram und YouTube verbreitet werden. Podcasts bieten Raum für Tiefe: Eine Redaktion kann neben dem Nachrichtengeschäft einen wöchentlichen Hintergrund-Podcast anbieten, um Entwicklungen einzuordnen. Ziel ist, die Menschen dortabzuholen, wo sie sich aufhalten – ob im Instagram-Feed, in der Spotify-Playlist oder auf TikTok – und dabei journalistische Standards (Überprüfbarkeit, Ausgewogenheit) beizubehalten.

  • Interaktion und Community-Aufbau:
    Journalist*innen selbst sind in sozialen Netzwerken wichtige Botschafter ihrer Medienmarke. Wenn sie sachlich und dialogbereit auftreten, können sie Vertrauen ins Medium stärken. Es ist empfehlenswert, dass Redaktionen ihren Mitarbeitenden Leitlinien an die Hand geben, wie sie z.B. auf Twitter oder LinkedIn mit dem Publikum interagieren. Direkte Antworten auf Fragen, Beteiligung an Diskussionen und das Zugeben von Fehlern (mit Korrekturen) schaffen eine Verbindung zum Publikum. Einige Journalisten betreiben bereits eigene Newsletter oder YouTube-Kanäle, in denen sie transparent über ihre Rechercheprozesse berichten – solche Ansätze fördern Medienvertrauen und zeigen, dass hinter Artikeln Menschen mit Wertekompass stehen.

  • Speed vs. Accuracy – neuen Workflow finden:
    In der digitalen Ära steht die Redaktion unter Druck, Nachrichten möglichst schnell zu veröffentlichen, da sie sonst via Social Media woanders auftauchen. Dennoch sollte die Genauigkeit vor Geschwindigkeit gehen, um die Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden. Hier können separate Online-Desks hilfreich sein, die Breaking News für Web/Apps kurzfristig melden, aber dann in Zusammenarbeit mit Fachredakteuren aktualisieren und korrigieren, sobald mehr geprüft ist. Auch der kontrollierte Umgang mit User Generated Content (z.B. Videos oder Bildern von Augenzeug*innen) erfordert klare Prozesse: Verifikationstools nutzen, Quelle angeben, im Zweifel auf Publikation verzichten, bis Echtheit bestätigt ist.

  • Inhalte einordnen und Extremismus nicht hochspielen:
    Medienberichterstattung sollte reflektieren, dass Social-Media-Trends nicht automatisch die Mehrheitsmeinung abbilden. Gerade weil extreme Positionen online oft überproportional laut sind, müssen Journalistinnen diese Phänomene einordnen. Es ist z.B. nicht sinnvoll, jedem noch so absurden Tweet eines/einer Politikerin sofort eine große Bühne zu geben – sonst läuft man Gefahr, zur Verstärkeranlage von Desinformation zu werden. Stattdessen sollte geprüft werden: Ist das Thema relevant? Wer steckt dahinter? Könnte die Meldung orchestriert (z.B. durch Bots) sein? Diese Kontextinfos gehören mit in den Bericht, um das Publikum zu immunisieren gegen vorschnelle Aufreger.

  • Weiterbildung in digitaler Kompetenz:
    Die Medienwelt verändert sich rasant – Redaktionen sollten ihre Teams regelmäßig in digital literacy schulen. Dazu gehört, neue Plattformen zu verstehen (morgen vielleicht BeReal oder das Metaverse), Trends wie Deepfakes zu erkennen oder Datenjournalismus-Skills zu haben, um z.B. Social-Media-Daten auszuwerten. Nur wer die Mechanismen der digitalen Öffentlichkeit durchschaut, kann auch fundiert darüber berichten und im Zweifel Gegenmaßnahmen treffen (z.B. Entlarvung einer Desinformationskampagne durch Datenanalyse).

Für politische Akteure (Parteien und Politiker*innen)

  • Multichannel-Strategie mit Fingerspitzengefühl:
    Parteien und Kandidatinnen sollten die ganze Klaviatur der Medien bespielen – von der Pressemitteilung bis zum TikTok-Clip. Allerdings nicht mit Einheitsbrei, sondern angepasst an die jeweiligen Plattformen. Beispielsweise kann eine Politiker*in auf LinkedIn einen fachlich tiefen Beitrag zu Wirtschaftsthemen posten, parallel auf Instagram persönliche Eindrücke vom Wahlkampfalltag in Story-Form teilen und auf TikTok ein kurzes Statement zu einem Trendthema humorvoll verpacken. Die Kernbotschaft bleibt konsistent, aber die Vermittlung ist zielgruppengerecht. Dabei gilt: Qualität vor Quantität. Es ist besser, wenige Kanäle gut zu bedienen, als auf jeder Plattform präsent, aber lieblos zu sein.

  • Authentizität und Bürgernähe:
    Social Media verzeiht keine gestelzten Phrasen. Politische Akteure sollten einen authentischen Kommunikationsstil pflegen – gern persönlicher und informeller als in Parlamentsreden, aber stets ehrlich. Ein kurzer Handy-Video-Clip, in dem ein Mensch aus der Politik spontan seine Sicht schildert, kann mehr Vertrauen schaffen als der x-te Pressetext. Gleichzeitig muss die Professionalität gewahrt bleiben: Beleidigende Ausraster oder Respektlosigkeiten stoßen auch online viele ab. Wer aber auf Kritik sachlich eingeht, vielleicht sogar mal Humor zeigt oder einen Bürger*innenvorschlag aufgreift, punktet.

  • Zuhören und Dialog suchen:
    Moderne politische Kommunikation ist keine Einbahnstraße mehr. Parteien und Mandatsträger tun gut daran, online zuzuhören. Etwa durch regelmäßige Fragerunden (#AskMeAnything-Sessions auf Twitter/X oder Instagram Live), digitale Bürgerräte oder Umfragen, welche Themen der Woche brennen. Viele Bürger*innen schätzen es, wenn sie merken, dass „da hört wirklich jemand zu“ und vielleicht fließt Feedback in Entscheidungen ein. Dieser Bottom-Up-Aspekt war früher oft auf Wahlkampfveranstaltungen beschränkt; nun kann er ständig gelebt werden. Wichtig: Rückmeldungen ernst nehmen, höflich bleiben – auch wenn Trolle versuchen zu provozieren.

  • Verantwortung im Umgang mit Informationen:
    Gerade weil Fake News ein Problem sind, müssen politische Akteure mit gutem Beispiel vorangehen. Sie sollten keine ungeprüften Inhalte teilen, nur weil sie der eigenen Position nutzen. Wer versehentlich Falsches gepostet hat, sollte es transparent richtigstellen. Zudem sollte man die Reichweite nicht missbrauchen, um etwa wissenschaftliche Erkenntnisse zu verzerren oder Vorurteile zu schüren. Kurz: Redlichkeit bleibt eine Tugend – auch in 15-Sekunden-Clips. Das heißt auch, Gegner nicht mit Desinformation zu überziehen. Sachliche Auseinandersetzung und harte, aber faire Debatte sollten Leitlinie sein. So schwer es fällt: Populismus bekämpft man nicht mit Gegenpopulismus, sondern mit glaubwürdiger Kommunikation.

  • Digitales Kampagnen-Know-how aufbauen:
    Parteien sollten ihre Kompetenz in digitalen Kampagnen weiter professionalisieren. Viele haben bereits Social-Media-Teams installiert, die zuletzt stark gewachsen sind​. Diese Teams sollten mit Datenanalysten, Content-Experten und Community-Managern interdisziplinär arbeiten, um zielgruppenspezifische Kampagnen zu planen (Microtargeting nutzen, aber transparent), die Performance zu messen und flexibel nachzusteuern. Dabei lohnt ein Blick auf internationale Best Practices – aber immer angepasst an deutsche Werte und Gesetze. Auch kleinere Parteien können mit Kreativität online Großes erreichen, wie einst die Piratenpartei zeigte​. Digitales Know-how hilft zudem, gegnerische Kampagnen zu kontern (z.B. aufkommende Narrative früh erkennen und eigene Sichtweisen dagegenhalten, bevor etwas zum Selbstläufer wird).

  • Kooperation mit Verbündeten und Influencern:
    Politische Botschaften entfalten mehr Wirkung, wenn sie nicht nur von der Partei selbst kommen. Daher empfiehlt es sich, ein Netzwerk aus Verbündeten in der Zivilgesellschaftund bekannten Persönlichkeiten aufzubauen, die bestimmte Werte teilen. Ein Umweltpolitiker könnte z.B. mit populären Klima-Influencern gemeinsame Videos machen; eine sozialpolitische Sprecherin mit bekannten NGOs Live-Streams veranstalten. Diese Cross-Over-Formate erweitern die Reichweite in neue Followerkreise. Wichtig ist, die Glaubwürdigkeit der Partner zu prüfen und inhaltlich authentisch zu bleiben – erzwungene Kooperationen wirken schnell durchschaubar.

  • Resilienz gegen Anfeindungen:
    Leider sehen sich gerade politisch Engagierte online vermehrt Anfeindungen ausgesetzt. Parteien sollten ihre Mitglieder auf solche Situationen vorbereiten, rechtliche Schritte gegen klare Drohungen konsequent einleiten und eventuell psychologische Unterstützung bieten. Eine Abgeordneter, der online stark attackiert wird, sollte Rückhalt vom Team erhalten (z.B. Moderationshilfe, temporäre Account-Betreuung). Digitale Zivilcourage im eigenen Lager ist gefragt: Anhänger sollten ermutigt werden, gegen Hasspostings Stellung zu beziehen, ohne selbst ausfallend zu werden. So verteidigt man die Diskurskultur.

Zusammengefasst: Politische Akteure müssen innovativ, dialogbereit und verantwortungsbewusst kommunizieren, um im digitalen Zeitalter Gehör zu finden und zugleich zur Versachlichung beizutragen. Wer nur altmodisch monologisiert, verliert den Anschluss – wer aber nur auf Klicks schielt, verliert die Glaubwürdigkeit.

Medienberichterstattung: Demokratie schützen und Desinformation bekämpfen

Nicht nur die Akteure der Kommunikation selbst, sondern auch die Medienberichterstattung insgesamt muss sich anpassen, um demokratische Werte in der digitalen Ära zu sichern. Folgende Veränderungen und Maßnahmen sind notwendig und sinnvoll:

  • Aktive Bekämpfung von Desinformation:
    Medien sollten Desinformation klar als solche benennen und entlarven. Faktenchecks gehören prominent platziert (z.B. als fester Teil von Nachrichtensendungen oder Online-Artikeln). Zudem kann Kooperation hilfreich sein: Verschiedene Medienhäuser könnten gemeinsame Fact-Checking-Initiativen starten, um im Wahlkampf kolportierte Fakes schnell zu widerlegen. Wichtig ist auch, die Mechanismen dahinter offenzulegen – also dem Publikum erklären, wer Desinformation streut und mit welcher Absicht. So wird die Bevölkerung sensibilisiert. Die große Mehrheit der Deutschen sieht in Desinformation eine Gefahr für unsere Gesellschaft​, daher besteht Rückhalt für mediale Gegenwehr.

  • Mehr Hintergrund und Einordnung:
    In einer Zeit, in der News jederzeit via Push aufs Handy kommen, wird die journalistische Einordnung zum Schlüsseldienst. Medienberichterstattung sollte verstärkt erklären, was bedeutet diese Entwicklung?, wie ist sie einzuordnen?, welche Quellen sind verlässlich?. Anstatt primär immer neue Eilmeldungen zu produzieren, braucht es Formate, die das große Bild zeichnen. Das schützt die Demokratie, weil Bürger*innen so weniger anfällig für einfache Parolen sind. Sie verstehen komplexe Zusammenhänge besser und können extreme Behauptungen eher einordnen. Medien können hier mit speziellen Serien oder Dossiers zu Desinformation, Medienkompetenz etc. einen Beitrag leisten.

  • Professioneller Umgang mit Social-Media-Trends:
    Redaktionen müssen entscheiden, wann ein Social-Media-Trend berichtenswert ist und wann Schweigen besser ist. Die Regel sollte sein: Keine Verstärkung von offensichtlich falschen oder demokratiegefährdenden Inhalten, nur weil sie Klicks bringen. Qualitätsjournalismus darf sich nicht von Twitter-Trends treiben lassen, sondern soll eigenständig gewichten. Wenn ein Thema allerdings in sozialen Medien hohe Wellen schlägt und viele verunsichert, sollten Medien informieren – aber dann mitFaktencheck und Bewertung. So zum Beispiel bei kursierenden Gerüchten über Impfnebenwirkungen: Ein Bericht sollte die falschen Gerüchte nennen, aber direkt die wissenschaftlichen Fakten dagegenstellen.

  • Transparenz in eigener Sache:
    Medien sollten weiterhin an ihrer Transparenz arbeiten. Dazu gehört, Fehler offen zu korrigieren (eine gut sichtbare Korrekturrubrik oder -hinweis), möglicherweise die Quellen für bestimmte Aussagen zu verlinken, wo machbar, und den Herstellungsprozess von Nachrichten greifbarer zu machen. Einige Medien veröffentlichen z.B. inzwischen redaktionsinterne Richtlinien oder erklären, warum sie über X berichten, über Y aber nicht. Diese Offenheit kann Misstrauen abbauen und Verschwörungserzählungen den Wind aus den Segeln nehmen, die oft auf angeblicher Geheimniskrämerei der „Mainstream-Medien“ fußen.

  • Weiterentwicklung journalistischer Standards:
    Angesichts neuer Phänomene wie Social Bots, Deepfakes oder gezielter Propaganda aus dem Ausland muss die Medienbranche ihre ethischen und professionellen Standards laufend weiterentwickeln. Es sollte Brancheninitiativen geben, um etwa den Einsatz von KI in Redaktion und auf Plattformen zu beobachten und Leitlinien zu formulieren: Wie erkennt man KI-generierte Fake-Videos? Wie berichtet man darüber, ohne unnötig Angst zu schüren? Ebenso braucht es Standards zum Umgang mit geleakten Informationen, die via Internet verbreitet werden (Stichwort: verifizierte Echtheit, Quellenmotivation prüfen). Die Aus- und Fortbildung von Journalist*innen muss diese Themen fest integrieren.

  • Plattformregulierung und Zusammenarbeit:
    Die großen Social-Media-Konzerne tragen Mitverantwortung für den Informationsfluss. Medienhäuser und Journalistenverbände sollten sich aktiv in Debatten um Regulierung einbringen – etwa die Umsetzung des Digital Services Act (DSA) in der EU, der mehr Transparenz und Pflicht zum Entfernen illegaler Inhalte fordert​. Hier gilt es darauf zu drängen, dass z.B. Faktenchecks systematisch eingebunden werden (eine Forderung, die in Studien auch an die Netzwerke gestellt wird​). Zugleich können Medien mit Plattformen kooperieren: etwa spezielle Medien-Feeds oder Verifizierungs-Häkchen für verlässliche Newsquellen, um Nutzer zu orientieren. Einige Netzwerke haben bereits Nachrichteninitiativen (z.B. Twitter hatte Moments, Facebook News Tab) – Medien sollten diese aktiv mitgestalten, um Qualität hochzuhalten.

  • Förderung von Medienkompetenz:
    Langfristig ist der beste Schutz vor Desinformation eine aufgeklärte Bürgerschaft. Medien können durch Bildungsangebote zur Medienkompetenz beitragen. Das kann im Kleinen geschehen – z.B. indem Nachrichtensendungen in Schulen besucht und diskutiert werden, oder im Großen durch Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung für Kampagnen „Wie erkenne ich Fake News?“. Auch in eigenen Formaten lässt sich Wissen einbauen: Ein kurzer Abschnitt „So checken Sie Fakten selbst“ in einer Sondersendung oder interaktive Online-Quiz zu aktuellen Gerüchten. Damit stärken Medien die resiliente Demokratie.

Fazit

Die letzten 5 bis 10 Jahre haben die Spielregeln der politischen Kommunikation in Deutschland nachhaltig verändert. Soziale Medien, Podcasts und neue digitale Formate sind vom Add-on zum zentralen Bestandteil geworden – mit tiefgreifenden Folgen für die Meinungsbildung. Die Entwicklung bringt enorme Chancen: Mehr direkte Demokratie, breitere Teilhabe, schnellere Information. Gleichzeitig wachsen die Risiken: Polarisierung, Desinformation, Verlust gemeinsamer Wahrheiten.

Um die Bürgerkommunikation von Verwaltung, Behörden und politischen Institutionen zukunftsfähig zu gestalten, ist ein strategischer und verantwortungsvoller Umgang mit den neuen Medien gefragt. Die öffentliche Hand muss bürgernäher und dialogorientierter auftreten, ohne die gebotene Neutralität und Rechtskonformität zu vernachlässigen. Journalist*innen und Medienorganisationen müssen ihre Rolle als verlässliche Navigationshilfe im Informationsozean behaupten – durch Qualität, Schnelligkeit und Transparenz. Politische Akteure schließlich stehen in der Pflicht, den digitalen Raum nicht zum postfaktischen Wildwest verkommen zu lassen, sondern ihn aktiv im Sinne einer lebendigen Demokratie mitzugestalten.

Deutschland kann aus den Erfahrungen der USA und anderer Länder lernen, um Fehler zu vermeiden und kluge Innovationen zu übernehmen. Letztlich gilt: Die Technik mag neu sein, doch die Grundprinzipien guter politischer Kommunikation bleiben bestehen – Offenheit, Wahrheit, Dialog, Respekt. Werden diese Werte in den digitalen Sphären ebenso beherzigt wie offline, lässt sich die Demokratie auch in stürmischen digitalen Zeiten stärken und schützen. Denn informierte, mündige Bürgerinnen und Bürger sind der beste Garant gegen die Zerreißproben einer sich wandelnden Medienwelt.

Studien und Berichte

  1. ARD/ZDF-Medienstudie 2024
    Die ARD/ZDF-Medienstudie löst ab 2024 die bisherigen Studien zur Mediennutzung ab und bietet umfassende Daten zur Mediennutzung in Deutschland.
    https://www.ard-zdf-medienstudie.de/

  2. Bertelsmann Stiftung: „Verunsicherte Öffentlichkeit“ (2024)
    Diese Studie untersucht die Wahrnehmung von Desinformation und deren Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung in Deutschland.
    https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/verunsicherte-oeffentlichkeit

  3. Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)
    Die bpb bietet zahlreiche Dossiers zu Themen wie politische Kommunikation, Social Media, Fake News und Demokratieentwicklung.
    https://www.bpb.de/

  4. Reuters Institute Digital News Report 2023
    Dieser Bericht liefert vergleichende Daten zur Nutzung digitaler Medien für Nachrichten in verschiedenen Ländern, einschließlich Deutschland.
    https://leibniz-hbi.de/hbi-publications/reuters-institute-digital-news-report-2023/

  5. Stiftung Neue Verantwortung: Desinformation in Deutschland (2023)
    Diese Analyse befasst sich mit der Verbreitung und Wirkung von Fake News und Manipulation im digitalen Raum.
    https://www.stiftung-nv.de/de/publikation/desinformation-in-deutschland

Fachliteratur und wissenschaftliche Analysen

  1. Jeanette Hofmann et al.: „Hybride Medienordnung“ (2021)
    Dieses Werk untersucht das Zusammenspiel von Social Media und klassischen Medien.
    https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/71842

  2. Bernhard Pörksen: „Die große Gereiztheit“ (2018)
    Pörksen analysiert die Dynamiken von Social Media und Desinformation in diesem Buch.
    https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-grosse-gereiztheit/978-3-446-25873-4/

  3. Michael Meyen: „Breaking News – Die Welt im Ausnahmezustand“ (2020)
    Dieses Buch thematisiert den Wandel der Nachrichtenmedien und die Herausforderungen für die Demokratie.
    https://www.westendverlag.de/buch/breaking-news/

  4. Christian Stöcker: „Das Experiment sind wir“ (2021)
    Stöcker analysiert die digitale Revolution und ihre Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft.
    https://www.fischerverlage.de/buch/christian-stoecker-das-experiment-sind-wir-9783103974823

Politikwissenschaftliche und kommunikationswissenschaftliche Quellen

  1. Nina Springer & Christoph Neuberger: „Politische Kommunikation im digitalen Zeitalter“ (2022)
    Dieses Buch bietet einen Überblick über aktuelle Trends in der politischen Kommunikation.
    https://www.springer.com/de/book/9783658354032

  2. Frank Brettschneider: „Wahlkampf in Deutschland“ (2021)
    Brettschneider vergleicht verschiedene Wahlkampfstrategien mit Schwerpunkt auf digitale Kampagnen.
    https://www.springer.com/de/book/9783658329788

  3. Martin Emmer et al.: „Politische Partizipation und Digitalisierung“ (2020)
    Dieses Werk untersucht, wie digitale Medien die politische Beteiligung beeinflussen.
    https://www.springer.com/de/book/9783658288603

Praxisberichte und Analysen zur Verwaltungskommunikation

  1. Deutscher Städte- und Gemeindebund (DStGB) Kommunikationsleitfaden (2023)
    Dieser Leitfaden bietet Empfehlungen für Verwaltungen zur Nutzung von Social Media und digitalen Plattformen.
    https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Aktuelles/2023/Kommunikationsleitfaden%20Social%20Media/

  2. Bundesregierung: Digitalstrategie 2025
    Das Strategiepapier der Bundesregierung zur digitalen Transformation in der Verwaltung.
    https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/digitalisierung/digitalstrategie-2025-1784934

  3. Polizei NRW: Social-Media-Einsatzbericht (2022)
    Dieser Bericht enthält Fallstudien über den Einsatz von Twitter & Co. in der Krisenkommunikation.
    https://polizei.nrw/artikel/social-media-einsatzbericht-2022


Daniela Vey

Seit 2004 als leidenschaftliche Informationsdesignerin selbständig. Neben meiner Tätigkeit als Dozentin für verschiedene Hochschulen und Akademien, vermittle ich mit Begeisterung mein Expertenwissen in den Bereichen Social Media, Design und User Experience. Auf der AllSocial-Konferenz trifft man mich als Moderatorin und Speakerin.

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